Sternenkind

Für die Klausurersatzleistung im Fach Kunst zum Thema ,,Trauer und Erinnerung'' sind drei Aufgabenbereiche abzudecken: Die drei verschiedenen Bildlösungen, die dokumentarisch mithilfe von Fotografien aufgegriffen werden; die Transformation in eine Werkreihe und die Erläuterung des Bildkonzepts. Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und Betrachten! 

 

Zunächst einmal basieren meine drei Grundideen auf den drei wichtigsten Elementen der Kinderentwicklung-
Schlaf, Nahrung und Spielzeug


Hier stelle ich mein Werk vor. Es besteht aus zwei verschiedenen Motiven, einem Schnuller und einem Kuscheltier. 

,,Sternenkind'' von Enise Kus, digitaler Siebdruck, 2020


Ein eigenes Kind- der Traum vieler Paare. Die Gewissheit, sich ein neues Leben mit einem neuen Menschen aufbauen zu dürfen, die Vorfreude, das erste Mal seinem Kind in die Augen schauen zu dürfen und sein Miniatur-Ich in den Armen halten zu können. Doch leider trifft viele das Schicksal, diesen Traum trotz Schwangerschaft nicht erleben zu können. Ich spreche von „Totgeburten“. 

Ein unvorstellbarer Schmerz für Mütter und Väter. Der Gedanke, dass aus einem kommenden Leben, ein kommender Tod werde könnte... Die Mütter tragen ihre Babys bereits eine lange Zeit im Bauch und behüten es, bevor das Unerwartete passiert. 

Es wird fleißig für  das Baby eingekauft, das Babyzimmer wird eingerichtet, die Schnuller und Beißringe werden ausgesucht, die ersten Kuscheltiere werden in das Regal des Babyzimmers gestellt, Geburtsvorbereitungskurse werden besucht, die werdende Mutter ernährt sich gesund und die werdenden Eltern tun alles dafür, um alles so schön wie möglich für ihr Baby zu gestalten. 

Von dem Moment an, in dem eine Mutter von ihrer Schwangerschaft erfährt, entwickelt sich ein enormer Beschützerinstinkt der Mutter. Es soll dem Baby gut gehen, die Gesundheit des Babys steht vor der eigenen, ganz egal, um welchen Preis. 

Doch eines können werdende Eltern nicht verhindern –eine Totgeburt. Manchmal weiß man es bereits im Voraus, weil möglicherweise schwerwiegende Krankheiten oder Genfehler vorliegen. Aber manchmal passiert es eben auch einfach so während,  kurz vor oder nach der Geburt. Ein Schock, auf den man nicht vorbereitet ist, ein Schmerz, für den man nicht stark genug sein kann. Plötzlich ist das Baby tot. 

Die vielen Monate der Vorfreude, der Traum einer Familie, der kleine Körper, der sich kurz zuvor noch im Bauch bewegte….alles ist plötzlich weg…verloren. Je nach Wunsch und Gesundheitszustand der Mutter wird das Kind entweder noch spontan entbunden oder es wird ein Kaiserschnitt vorgenommen. Diese Geburten werden als „stille Geburt“ bezeichnet, weil das Baby nicht schreien kann.  

All diese zusätzlichen Schmerzen zu ertragen, in dem Wissen, das Kind später zu Grabe tragen zu müssen, muss unerträglich sein. Manche Babys leben erst noch eine kurze Zeit und versterben dann.  Nach so einem schlimmen Erlebnis wieder zurück nach Hause zu kommen und all die für das Kind vorbereiteten schönen Dinge zu sehen, sprengt wohl alle Grenzen des Schmerzes.

Der Schock sitzt tief und der Anblick der leblosen Gegenstände erinnert die trauernden Eltern an das verpasste Leben.

Ich möchte diese Thematik in meinem Werk ,,Sternenkind’’ aufgreifen. Als „Sternenkind“ werden die Kinder bezeichnet, die vor, während oder nach der Geburt versterben. 

 

Zu sehen sind zwei verschiedene Motive- neunteilig, die jeweils in dreier Bildern zeilenweise angeordnet sind. Ein Motiv ist ein Babyschnuller. Der Babyschnuller repräsentiert ein wichtiges Element der Kinderentwicklung. 

Der Schnuller wird für den Schlaf oder auch einfach nur zur Beruhigung des Babys benötigt. Es erinnert das Baby an die Mutterbrust und gibt ihm ein Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit.  Der Schnuller ist  für gewöhnlich das Erste, woran gedacht wird, wenn es um die Anschaffung der Erstausstattung für das Baby geht. Der Schnuller ist zwar ein kleiner und unscheinbarer Gegenstand, spielt aber eine enorme Rolle bei der Bindung zwischen Mutter und Kind, weil es eine Art Ersatzbrust für das Baby darstellt.

 

In meinem Werk liegt der Schnuller auf der rechten Seite des Bildes auf einer Decke.  Der Schnuller ist so positioniert, weil ich zeigen möchte, dass er beiseite geschoben wurde und auch nicht mehr vor Schmutz oder Keimen geschützt zu werden braucht, weil man das Kind verloren hat. Es verdeutlicht den Verlustschmerz der Eltern. Alles ist egal, nichts spielt mehr eine Rolle, der Schnuller kann nicht mehr genutzt werden.

 

Das zweite Motiv ist ein Koala-Kuscheltier mit einem Griff am Ende, ein sogenannter „Greifling“. Es stellt ein zweites wichtiges Element der Kinderentwicklung dar - das Spielzeug. Ein Kuscheltier ersetzt die Wärme der Eltern und das Spielen mit einem Greifling fördert die Frühmotorik.

Das Kuscheltier schaut nach rechts oben und liegt in einer Box. Die Box soll eine Art Erinnerungsbox darstellen, worin das Kuscheltier aufbewahrt wird. Trauernden Eltern wird empfohlen, eine Erinnerungsbox für ihr verstorbenes Kind zu erstellen, damit man stets eine Möglichkeit der Trauerverarbeitung hat. Diese Box soll das Gefühl vermitteln, doch noch ein Stück des verstorbenen Kindes behalten zu haben.

 

Diese von mir aufgegriffenen zwei Elemente wären ursprünglich vom erwarteten Kind genutzt worden. Sie sind voller Träume und Wünsche, die nicht mehr erfüllt werden können. 

 

Das Werk widme ich einem verstorbenen Baby einer Bekannten, die Unvorstellbares durchmachen musste. Bei ihrer lang ersehnten Schwangerschaft liefen alle Untersuchungen gut und das Kind war kerngesund. Allerdings setzten ihre Wehen auch eine Woche nach dem errechneten Geburtstermin nicht ein. 

Plötzlich verlor sie langsam Fruchtwasser, aber ihr Arzt empfahl ihr telefonisch dennoch, erst einmal zu Hause zu warten und Ruhe zu bewahren. Auf seinen Rat hin ging sie also tatsächlich erst Stunden später in die Klinik. Dort wurde sie auf eine Spontangeburt vorbereitet. Beim Überprüfen der Herztöne stellten die Ärzte jedoch fest, dass keine mehr vorhanden waren. Beide Eltern standen unter Schock und glaubten es nicht. Das Baby wurde per Kaiserschnitt geholt. Es war eigentlich kerngesund, aber leider bereits verstorben.

Es war wohl ein wunderschönes und eigentlich auch kerngesundes Mädchen. Aber es war tot. Das besonders Dramatische war, dass genau 30 Jahre zuvor bereits die ältere Schwester der Mutter verstorben war. Es war auch ein Sternenkind. Genau dieser Tag war der errechnete Geburtstermin für ihr eigenes Kind. Es sollte so heißen wie ihre verstorbene Schwester. 

Dieses schlimme Ereignis hat mich sehr mitgenommen. Ich versuchte, mir den Schmerz der Eltern vorzustellen und fragte mich, wie sie diesen bewältigen würden.

Als besonders schmerzhaft empfand ich dann noch die Tatsache, dass der Mutter Medikamente verabreicht werden mussten, um ihren Milchfluss zu stoppen. 

Sie konnte den Moment des Stillens, die intimste und schönste Verbindung zwischen Mutter und Kind, die eben manchmal durch einen Schnuller ersetzt wird, nicht erleben. 

 

In meinem Werk nutzte ich für die Schnuller einen pinken Untergrund. Das Pink repräsentiert die stereotypische Farbe des weiblichen Geschlechts. Da ich für mein Werk von dem Tod eines kleinen Mädchens inspiriert wurde, wollte ich speziell dieses Geschlecht als Basis nehmen. 

Das Lila steht für den Geist und die Spiritualität bezüglich der Kinderseele, das Violett für den Tod und das Blau, welches im mittleren Bild zum Vorschein kommt, für die Ruhe, die seit dem Tod des Kindes im Raum des Paares herrscht. Zu erkennen ist auch ein dunkelrotes Bild oben rechts. Da es die Farbe der Liebe ist, drückt diese Farbwahl die Liebe zu dem verstorbenen Kind aus. 

Die Kuscheltiere sind in einem gelben Ton, zwei davon in Kombination mit einem orange-Ton. Ich wählte gelb, da diese Farbe mit Licht und Leben assoziiert wird, aber aufgrund der Thematik das Gegenteil von diesem darstellen soll. Im Allgemeinen sind die Bilder trotz einiger heller Töne dunkel gehalten, um damit den Ausdruck der Trauer zu verstärken. 

 

Auffällig ist, dass beide Motive rechts in die Höhe aufzeigen. Damit soll dargestellt werden, dass diese zwei Elemente sich ebenfalls nach dem verstorbenen Kind sehnen. Die Positionen könnten gar die Vorstellung hervorrufen, dass das Baby vom Himmel auf den Schnuller und das Kuscheltier herabschaue. 

Diese Werkreihe soll die Sehnsucht, die Erinnerung und das Leid der Eltern verkörpern.